Die Liebfrauengemeinde in Goch - Versuch einer Erinnerung
Sie haben natürlich völlig Recht: Es ist durchaus ungewöhnlich, wenn im Zusammenhang mit einer Kirche an so prominenter Stelle über die Finanzen gesprochen wird. Bei der Gocher Liebfrauenkirche verhält sich die Angelegenheit jedoch etwas anders als üblich und lohnt genaueres Hinsehen.
Tonfigur als symbolischer "Baustein" (1933)
Der Kirchenbau wurde durch den Architekten, Herrn Op gen Oorth, in seinem Exposé mit rund 250.000,- Reichsmark veranschlagt. Zum besseren Verständnis sei gesagt, dass ein halber Liter Bier in jener Zeit für etwa 25 Pfennig zu haben war. Wenn man denn Arbeit hatte und Geld verdienen konnte! Die Krise auf dem Arbeitsmarkt erreichte im Februar 1932 ihren Höhepunkt mit über 6 Millionen Arbeitssuchenden. Mit einer Quote von rund 44% der erwerbsfähigen Bevölkerung hatte damit Deutschland im internationalen Vergleich den weltweit höchsten Prozentsatz an Arbeitslosen. Rund 12,5 Milliarden RM werden 1932 für Arbeitslosengeld und Sozialhilfe aufgewendet, das sind etwa 65% der gesamten öffentlichen Ausgaben.
Die wirtschaftliche Lage des Reiches war katastrophal: Die Industrieproduktion betrug nur noch 57,2% des Standes von 1928; die Ausfuhren waren drastisch zurückgegangen. Die Einkommen der Lohn- und Gehaltsempfänger wie auch der Unternehmer gingen gegenüber 1928 um nahezu 40% zurück. Der Stundenlohn eines Stahlarbeiters betrug beispielsweise nur noch 85 Pfennige.
Die Lebenshaltungskosten sind 1932 durch die staatlich verordneten Preisstopps nicht höher als die der Vorjahre. Bei Preisen von 1,40 RM für ein Pfund Ochsenfleisch und 0,80 RM für ein Pfund Speck ist es dennoch für einen Durchschnittsverdiener außerordentlich schwer, seine Familie zu ernähren. Auch die Landwirte - viele haben in den Jahren vor der Wirtschaftskrise kostspielige Maschinen angeschafft - bleiben von den Auswirkungen der Krise nicht verschont. Die Höfe sind überschuldet, Kredite können nicht zurückgezahlt werden. Die Einkommen der Landwirte sind durch die fallenden Preise stetig gesunken, obwohl die Reichsregierung versucht, den deutschen Agrarmarkt gegen Einflüsse des Weltmarktes abzuschirmen. Die Verkaufserlöse der Landwirtschaft liegen um fast 40% unter denen des Jahres 1928. Zahllose Konkurse sind die Folge. Und ausgerechnet in diesen Zeiten wollen nun die Gocher eine neue Kirche bauen!
"In 5 Jahren eifrigen Sammelns hatte die Gemeinde freiwillig die finanzielle Grundlage geschaffen, um ein neues Gotteshaus bauen zu können. Im Jahre 1933 kam mit Gottes Hilfe dank der einmütigen Stellungnahme des gesamten Kirchenvorstandes das Werk zustande. Es ist besonders bemerkenswert, dass der Kirchenvorstand in Herrn Dipl.-Ing. Op Gen Oorth einen tüchtigen Architekten gefunden hatte, dessen Erstlingswerk als Kirche er in seiner Vaterstadt Goch bauen durfte. In seinem Bauleiter Herrn J. Franke aus Köln hatte er einen tüchtigen und umsichtigen Mitarbeiter. Beiden Herren ist die Gemeinde zu großem Danke verpflichtet. Die neue Kirche selbst liegt an einer Stelle, die schon seit Jahren für den hl. Zweck ausersehen war. Sie zeigt die Richtung von Westen nach Osten. Vom Osten her, vom Orient, ist uns das Licht Jesus Christus gekommen. Darum sollen die katholischen Kirchen, wenn irgend möglich, so gebaut sein, dass der Altar nach Osten liegt. Der Grundriss der Kirche ist die Kreuzform. In cruce salus, im Kreuz ist Heil."